Rückzahlung statt RettungVon Kristina Dunz und Johannes Mönch

Berlin. Die Corona-Pandemie stürzte Selbstständige, Kleinunternehmer und Freiberufler in die Krise – mit dem Lockdown brachen Aufträge weg, Geschäfte und Restaurants wurden geschlossen. Bund und Länder zahlten begrenzt auf die Monate März bis Mai 2020 insgesamt rund 13 Milliarden Euro an Corona-Soforthilfen aus. Durststrecken wurden überwunden. Aber viele Betroffene erleben ein böses Erwachen. Denn hunderttausende Hilfe-Empfänger müssen das Geld zurückzahlen. Vielfach belief sich die damalige Corona-Hilfe auf einen Betrag unterhalb von 10.000 Euro. Etliche Betroffene klagen gegen die Rückforderung, andere haben kein Geld für einen Anwalt – und auch nicht für die Rückzahlung selbst, für die die Behörden in der Regel eine Frist von zwei Wochen setzen. Mögen sie die Pandemie wirtschaftlich überstanden haben, stürzen sie nun in eine neue Krise.

„Angst vor Kontopfändung“

Die Beträge werden in aller Regel zurückgefordert, weil die Behörden den Nachweis für den damaligen sogenannten Liquiditätsengpass in jenen drei Monaten nicht erbracht sehen. Eine Freiberuflerin aus Hamburg schreibt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) nun von „grauenvollen Ängsten“, unter anderem „vor Kontopfändung“. Neben der für sie nicht möglichen Rückzahlung von 5000 Euro müsse sie Mahngebühren und Zinsen zahlen. Unzählige Freiberufler lebten von dem Geld, das sie gerade verdienten – „von der Hand in den Mund“. Wenn wegen einer Pandemie die Arbeit eingestellt werde, gebe es auch nichts mehr zu essen, sagt die 59-Jährige.
In Hessen wurden die Rückforderungen in dieser Woche nach großer Aufregung unter Betroffenen vorläufig gestoppt. Er wolle „alle rechtskonformen Möglichkeiten ausschöpfen, um Erleichterungen für die Betroffenen zu erzielen“, sagt Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD). Das hessische Moratorium verdeutlicht: Die Länder haben Handlungsspielraum.
Wie groß die Unterschiede sind, zeigen die Zwischenstände, die das RND bei den Wirtschaftsministerien von 15 der 16 Bundesländer bis zum vergangenen Donnerstag abgefragt hat. Einzig Mecklenburg-Vorpommern äußerte sich nicht.
Besonders auffällig: Im Vergleich zu den Bewilligungen, weicht die Anzahl der Rückforderungen in den Ländern stark ab – ebenso die der erfolgreichen Klagen. Ferner gibt es in mehreren Bundesländern keine Möglichkeit des Widerspruchs – es muss direkt geklagt werden. Die Wahrscheinlichkeit, die Corona-Soforthilfe zurückzahlen zu müssen oder erfolgreich gegen eine Rückforderung vorgehen zu können, variiert also je nach Bundesland. Das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen bewilligte mit insgesamt etwa 430.000 Auszahlungen die meisten Anträge auf Corona-Soforthilfe. Allerdings forderte es diese in rund 230.000 Fällen voll oder teilweise zurück. In Baden-Württemberg (ungefähr 245.000 gewährte Zahlungen und 117.000 Rückforderungsbescheide) oder Schleswig-Holstein (rund 56.000 stattgegebene Anträge, von denen bisher gut 35.000 zurückgefordert wurden) ist die Situation ähnlich. Dagegen sprach das Land Berlin bei gut 213.000 Bewilligungen lediglich 15.470 Rückforderungen aus. In Sachsen-Anhalt (rund 37.000 Bewilligungen; etwa 1.200 Rückforderungen) oder dem Saarland (17.505 Bewilligungen; rund 240 Rückforderungen) waren es prozentual noch weniger.

Ebenfalls ins Auge fallen die unterschiedlichen Möglichkeiten, wie man sich gegen einen Rückforderungsbescheid wehren kann. Während in den meisten Bundesländern die Gelegenheit zum Widerspruch besteht, mit dem eine Behörde zur erneuten Prüfung aufgefordert wird, ist zum Beispiel in Bayern, Sachsen-Anhalt oder NRW nur die Klage vor dem Verwaltungsgericht zulässig.
Der Erfolg von Klagen geht ebenfalls auseinander: Von rund 1.200 Klageverfahren bei der NRW-Soforthilfe sind etwa 900 zugunsten der Kläger entschieden worden. Dagegen war in Bayern in den von 516 Klagen bereits abgeschlossenen Verfahren bislang keine erfolgreich. Der Freistaat konnte dafür in rund 16.700 Fällen nach jeweiliger Einzelfallprüfung einen Voll- oder Teilerlass gewähren.
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer sagt: „Es ist auf jeden Fall im Interesse unserer Politik, dass es nicht zu sozialen Härten im kulturellen Raum kommt.“ Linken-Fraktionsvizechefin Janine Wissler hält die großen Unterschiede in den Bundesländern für ungerecht. Noch viel ungerechter seien aber die Milliarden, „die sich große Konzerne aus Corona-Hilfen abgezweigt haben“, sagt sie. Firmen hätten Kurzarbeitergeld vom Staat in Anspruch genommen, „während gleichzeitig Dividenden ausgeschüttet und Boni gezahlt wurden“, beklagt Wissler.
Dass Antragsteller über die Rückforderungsmodalitäten im Unklaren geblieben sind, halten die meisten für unwahrscheinlich. Niedersachsen räumt allerdings ein: In einigen Fällen könnte es aufgrund der Vielzahl an unterschiedlichen Regelungen zu Unklarheiten oder Missverständnissen gekommen sein.
In NRW hatte das Oberverwaltungsgericht in einem Urteil dargelegt, dass der Inhalt des Abschnitts „Allgemeine Fragen und Antworten zur Antragstellung“ zwischen dem 25. März und dem 31. Mai 2020 insgesamt fünfzehnmal geändert wurde.